Abschied von Günter

 

Als ich Kind war
War Günter 3 Jahre älter als ich.

Die Mathematiker unter uns werden nun einwänden:
das war er später auch noch...
womit der Widerspruch zwischen trennender Wissenschaft und komplexer Lebenspraxis einmal mehr deutlich wird.

3 Jahre Unterschied im Kindesalter stellen nämlich ein ganz anderes Verhältnis dar - als Beispielsweise um die 30 herum.

3 Jahre Differenz im Kindesalter bedeuten einen erheblichen körperlichen Machtfaktor...

 

Günter hat mich als Kind immer verprügelt
Ich hatte keine Chance...

 

In einer der höchst seltenen, für ihn außergewöhnlich schwachen Stunden, gestand er mir -
daß er mich deshalb immer verprügelt hat –
weil ich immer genau das
sagen konnte,
und gesagt habe,
was er sagen wollte –
aber nicht konnte...

Ich nehme mir also weiterhin  heraus, das zu sagen, was ich meine - erstens kann er mich nun nicht mehr verprügeln –
ich hoffe es zumindest - 
und zweitens könnte es sogar sein, daß es jetzt in seinem Sinne ist. Also:

Günter war ein Stinkstiefel -
unbezwingbar rechthaberisch -
und absolut Unbelehrbar

Themen, auf deren Grundlage man mit ihm relativ streßfrei Kommunizieren konnte waren:
AutoCad
Elektronik
Drachenfliegen,
Tauchen und...
der Film: Zwei Glorreiche Halunken – deren absolute Identifikationsfigur für ihn Client Eastwood war.

Da war er tatsächlich Chef
und wirklich unangreifbar.

Jeder der die Möglichkeit hatte, ihm etwas näherzukommen, wird dies bestätigen.

 

Eigentlich erstaunlich - das bei einem solchen Steckbrief so viele da sind, um sich von ihm zu verabschieden...

 

Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen bietet die Einsicht, das Wort und Sprache eben tatsächlich nur den geringste Teil dessen ausmacht, mit dem wir uns in der Welt verständigen –
und auf keine andere Weise kann man sich besser „mißverstehen“.

Zum Glück gibt es den weitaus größeren und differenzierteren Teil der Verständigung, der sich unserer bewußten Kontrolle entzieht.

 

 

Und hier fand man einen Günter, der mit leuchtenden Augen vom Fliegen, von AutoCad oder vom Film: „2 Glorreiche Halunken“ sprach.

Der endgültig verloren war - vollkommen überfordert und unsicher pubertierend, gewissermaßen von einem Bein auf das andere hüpfte, sobald sich ihm die Weiblichkeit näherte.

Der 150 Enschuldigungen hervorbringend, eine halbe Stunde benötigte, um einem Arzt verständlich zu machen, das ihm etwas weh tut und er Hilfe braucht.

Und der letztlich kein Hilfeersuchen - von wem auch immer - je hätte abschlagen können.

Ein unübersehbarer Widerspruch.

 

Seine innere Welt sagte ihm, daß nur etwas „wert“ ist –
das nur etwas angenommen und geliebt werden kann –
wenn es möglichst furchtlos, Heldenhaft, Fehlerlos funktionierend, unabhängig und gesund ist.

Freilich galten all diese Parameter nur für ihn - was ihm wahrscheinlich nicht einmal aufgefallen ist.

 

Und da Günter keine der scheinbar so nötigen Eigenschaften tatsächlich erfüllte –
und er wußte das sehr genau –
mußte er es sich zumindest immer einbilden - 
oder wenigstens doch so tun als ob –
in der Hoffnung, das niemand seine Schwächen bemerkt und ihn Verletzen kann.

Hinter all dem unfehlbaren Gebaren von ihm, verkroch sich schützend die Inkarnation einer Mimose.

Doch glücklicherweise gelang ihm nicht einmal das - sonst wär das hier sicherlich eine ziemlich einsame Feier.

 

Liebe, Achtung und Zuneigung beziehen sich notwendig immer auf das Unvollkommene –
das Vollkommene bedarf keinerlei Beachtung - daher ist es auch nicht aufzufinden in der Wirklichkeit...

 

 

Günter brauchte sehr viel dieser Zuwendungen, die Sicherheit und Geborgenheit bieten.
Doch der tiefsitzende Zweifel, und die entsprechende Furcht vor der möglichen Verletzung ließ es nie zu, dies sich und anderen einzugestehen.

Die eigene unüberwindliche Wehrhaftigkeit schien ihm immer der wichtigste Lebensgarant – und konnte doch nie die benötigte Geborgenheit und Sicherheit ersetzen.

 

So bedurfte es erst der Unabwendbarkeit des körperlichen Zusammenbruchs –
der Wehrlosigkeit gegenüber dem, wofür es keine Schutzschilde und Panzerungen gibt –
dem sichtbaren Lebensende –
um zu erfahren, daß die Verletzung nicht notwendig auf die Wehrlosigkeit folgt.

 

Als das Ende Absehbar war, bekam ich von ihm den Auftrag, niemanden davon zu erzählen –
vor allem niemand aus der Familie.

Nach und nach jedoch ging er das Risiko ein,
und ich durfte es dieser oder jenem verraten.

Ca. 2 Wochen vor seinem Abschied bekam ich von ihm den Auftrag „alle“ auf dem Laufenden zu halten...

 

Jeder, der ihn die letzten Monate begleitete, konnte sein Erstaunen und seine Dankbarkeit gegenüber der vielfältigen Zuneigung erkennen, die er nun erfuhr.
Niemand war da, der auch nur auf die Idee kam, seine Schwäche gegen ihn zu nutzen –

Eine erstaunliche Erfahrung für ihn.

 

So hat er in den letzten Wochen seines Lebens all das erfahren, wonach er ein Leben lang eigentlich gesucht hatte.

So könnte es dem - der die Spannung aushält - erscheinen, als wäre sein Sterben die letztliche Erfüllung seines Lebens.

Das würde natürlich nur einen Sinn machen, wenn er diese Erfahrung auch nutzen könnte ... was auch immer das bedeuten mag...

 

 

Und in diesem Zusammenhang, kann ich mir doch eine kleine Anekdote nicht verkneifen:

Günter – der sein Leben lang ja alles barsch abblockte, was „er“ nicht sehen und anfassen konnte –
sprach in seinen letzten Wochen –
und das ausgerechnet mir gegenüber –
immer wieder von „seltsamen Zufällen“, die passierten, seit er die Krebsdiagnose kannte.

 

„Zufälle“, die dazu führten, das die Bedingungen seines letzten Lebensabschnitts wie für ihn Organisiert erscheinen mußten.

Diese vielfältigen „Zufälle“, von denen er mir erzählte, ermöglichten seinen Worten nach „seltsamer Weise“ immer die optimalen Bedingungen für ihn, um seine Situation zu ertragen.

Ermutigt, von solch wunderlichen Entdeckungen - aus Günters Mund -, verabredete ich mit ihm ein „Zeichen“:
Das er,
wenn möglich –
von wo auch immer –
geben sollte.
...wenn er „da“ ist.

...und das möglichst nicht in seiner gewohnten Weise, sonder bitte sanft – weil ich durchaus sehr schreckhaft bin.

Leider versäumten wir, ein „bestimmtes Zeichen“ zu verabreden – er meinte noch: „Wer weiß, worin ihr alles ein Zeichen sehen werdet...“ wohl nicht zu unrecht.

 

Um die Sache der Länge wegen auf Stichworte zu verkürzen... 

Einen Tag nach seinem Tod –
an einem durchaus noch annehmbaren Sommerabend –
wurde ich entgegen meinem Wunsch
„Zufällig“ in das innere eines Cafes „gelockt“ –
in das kurz zuvor ein Freund,
„zufällig“ „wegen der guten Musik“ „hineingelockt“ wurde.

 

Das Cafe ist ein einigermaßen Intellektuelles –
und die Musik entsprechend Soft-Jazzig / modern Chillout.

Wohl „versehentlich“ muß sich beim CD Wechseln jemand vergriffen haben – aber nur ein Musikstück lang.

Nach dieser höchst unpassenden Einlage war der Vault Pas wohl erkannt und korrigiert, und es ging die normale, und dem Cafe angemessene Musik wieder weiter.

Die unpassende Einlage – war: The God, The Bad and The Ugly – die Filmmusik von:

Zwei glorreiche Halunken... ;Ö)